Die Johanni-Imagination, wie sie Rudolf Steiner gegeben hat, schildert, wie sich um die Johanni-Zeit, wenn das Geistig-Seelische am stärksten ausgeatmet ist, aus dem Kosmos heraus das imaginative Bild Uriels gestaltet, der mit ernstem, richtendem Blick in die Tiefen der Erde herunterblickt, wo er die Fehler und Verirrungen der Menschheit lesen kann.
Im Hochsommer ist das Geistig-Seelische der Erde – auf der Hemisphäre, wo eben gerade Sommer ist – am stärksten ausgeatmet. Die Elementarwesen tanzen in den Lüften und ihr Reigen ist ein lebendiges Bild der kosmischen Kräfte, die gestaltend auf die Erde herein wirken. Die Sommerseite der Erde wird so zu einem gewaltigen Spiegel, in dem sich ein Bild des ganzen Kosmos malt. Die webende kosmische Intelligenz und die in ihnen waltenden Wesen verdichten sich für den hellsichtigen Blick zur Imagination Uriels, dessen gelblich leuchtendes Antlitz mit ernstem Blick über den Tiefen schwebt. Uriel erscheint hier als die wirkende kosmische Intelligenz selbst. Das ist zu unterscheiden von der Aufgabe Michaels, der ja, wie Rudolf Steiner oft sagt, der Verwalter der kosmischen Intelligenz ist.
In den Höhen der Erde spiegelt sich also in dem Bilde Uriels die kosmische Intelligenz. Aber wie jeder Spiegel hat auch dieser noch eine dunkle, undurchsichtige Rückseite. In dunklem Blau erscheint in der Tiefe die Stoffesmutter, die Erdenmutter. Kräfte walten in diesen Tiefen, Willenskräfte. Und als silberglänzende Fäden und Linien werden die kristallisierenden, die kristallbildenden Kräfte in dieser bläulichen Tiefe sichtbar und zeigen sich in ihrer wunderbaren strengen, aber lebendig gestalteten geometrischen Ordnung. Und was so geordnet in der Tiefe erscheint, das kann Uriel zu sich heraufheben in durch eine gleichsam kosmische Alchemie zu fein gesponnen Fäden lauteren Goldes verwandeln. Und aus diesen silbernen und goldenen Fäden wird das Sternenkleid Michaels gewoben.
Zwischen den Höhen und den Tiefen bildet sich für die Imagination dann immer mehr das Bild des Christus, des göttlichen Sohnes, heraus. Oben die göttlich-geistigen Vaterkräfte, repräsentiert durch Uriel, unten die Stoffesmutter und in der Mitte der Sohn – ein Bild der Trinität wird hier in einer ganz spezifischen Gestalt sichtbar.
Diese strenge, zugleich aber lebendige geometrische Ordnung der mütterlichen Erdentiefe ist allerdings ein Idealbild. Tatsächlich wird noch etwas anderes sichtbar. Überall erscheinen Fehler, Verrückungen und Verzerrungen in dieser wundersamen Ordnung – und die sind bewirkt durch die Irrtümer und Verfehlungen der Menschheit. Das ist ein Bild des Menschheitskarmas, das die Menschen sich selbst und der Erde im Zuge ihrer Entwicklung aufgebürdet haben. Mit ernster Geste weist Uriel auf dieses Bild und will damit in uns das erwecken, was Rudolf Steiner das „historische Gewissen“ genannt hat.
Wenn im Sommer der Luftkreis der Erde ganz dem Himmel hingegeben
ist und zu seiner lebendigen Spiegelung wird, verhüllen sich zugleich
die dunklen Tiefen der Erde vor dem kosmischen Geist. Das ist die Zeit,
wo Ahriman, der in den Tiefen waltet, am stärksten erwacht und für den
imaginativen Blick in seiner schwefelgelb leuchtenden Drachengestalt aus
der Unterwelt heraufsteigt und nach dem Menschen greift. Und er ist es
auch, der die einstmals ganz lebendige Schöpfung der Götter immer mehr
erstarren und zersplittern lässt. Er ist es heute vor allem, der uns zu
den Fehlern und Irrtümern verleitet, die sich den Erdentiefen als
Menschheitskarma einschreiben und auf die uns Uriel mahnend weist. Er
verdirbt nicht nur den Menschen, sondern auch die Natur – und darum
können wir aus ihr unmittelbar auch keine Kräfte mehr schöpfen, die in
die Zukunft führen. In diesem Sinne zu wirken ist die Aufgabe Ahrimans
und er bereitet dadurch auch den Boden für unsere Freiheit. In einer
Welt, die noch ganz erfüllt wäre von den schöpferischen geistigen
Kräften, könnten wir sie nicht entfalten. Dennoch müssen wir ihn
niederringen und erst in seiner Überwindung erwacht die Schöpferkraft,
die uns befähigt für die geistige Erneuerung der Welt.
Uriel-Imagination
v. Rudolf Steiner
Mysterien der Höhen
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Das leuchtende Erregen,
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Mysterien der Tiefen
Lebe irdisch Erhaltendes
Und atmend Gestaltetes
Als wesenhaft Waltendes.
Mysterien der Mitte oder des menschlichen Innern
Fühle dein Menschengebeine
Mit himmlischen Scheine
Im waltenden Weltenvereine.
Wie eine kosmische Behauptung dieser Mysterien
in das Ganze hineinklingend,
wie mit Orgel- und Posaunentönen
Es werden Stoffe verdichtet,
Es werden Fehler gerichtet,
Es werden Herzen gesichtet.
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